„Wir müssen die Menschen wieder für Sport begeistern“

31.08.2021 –  Neue Osnarbrücker Zeitung - Susanne Vetter

DTU Präsident Martin Engelhardt hat in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung zu den Entwicklungen im deutschen Sport Stellung genommen. Das ganze Interview kann auf der Website der NOZ eingesehen werden.

Bitburger 0,0 Triathlon Bundesliga Saarbruecken 09/2020

Herr Professor Engelhardt, aktuell gibt es eine Debatte über die Ausrichtung und die Strukturen des deutschen Leistungssports. Ausgelöst wurde sie durch den mageren Medaillenertrag in Tokio. Aber war es nicht ohnehin höchste Zeit, diese Diskussion zu führen?

Ich bin seit über zwei Jahren der Auffassung, dass wir im deutschen Sport mehr miteinander reden und diskutieren müssen – und in der ein oder anderen Sache auch mehr streiten müssen. Wir müssen um den besten Weg ringen. Das ist doch der Vorteil unserer Demokratie.

Die fehlt aus Ihrer Sicht im deutschen Spitzensport?

Generell fehlt eine offene Diskussion. Von der Führung her ist man der Meinung, das muss alles intern in kleinen runden hinter verschlossenen Türen gemacht werden. Nach außen will man das heile Bild abgeben. Aus meiner Sicht ist das aber ein unrealistisches Bild. Auch deshalb hat der Sport ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Woran machen Sie das fest?

Das zentrale Beispiel war die Ablehnung der Bewerbung um die Olympischen Spiele in Hamburg, einer der sportfreundlichsten Städte. Damit hätte niemand gerechnet. Das muss uns doch zu denken geben, dass die Bevölkerung nicht genügend Vertrauen in die Sportführung hat und dass wir ein Problem in der Ausrichtung des Sports haben. Wir haben in den letzten Jahrzehnten die Aktivitäten des Amateur- und leistungsorientierten Breitensports vernachlässigt. Und auch im Bereich des Leistungssports gibt es unterschiedliche Einschätzungen, ob wir zielführend gearbeitet haben.

Wie meinen Sie das?

Wir haben einzelne Verbände, die gut aufgestellt sind und in hoher Eigenverantwortung alles dafür tun, dass ihre Sportler große Erfolge erzielen. Wir haben gute Einheiten, die den Hochleistungssport unterstützen, aber das ist nicht ausreichend, wenn wir nicht wieder einen größeren Anteil der Bevölkerung zum Sport bringen und für den Sport begeistern. Wir müssen vor allem Kinder und Jugendliche wieder zielgerichtet und gut ausbilden. Da fehlt es. Offen ansprechen müssen wir auch, dass der Zugang für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Haushalten nicht in allen Sportarten gegeben ist. Das muss man auch in der reichen Bundesrepublik eingestehen. Hier müssen wir die Einstiegshöhen kleiner machen.

Wie kann die Begeisterung wieder entfacht werden?

Wir müssen den Nutzen des Sports für jeden Einzelnen deutlicher machen. Kinder und Jugendliche profitieren maximal in der körperlichen und geistigen Entwicklung vom Sport, im Aufbau einer selbstbewussten Persönlichkeit. Ich wäre sicher nie ärztlicher Direktor geworden ohne die Sozialisation im Sport.

Was hat diese Ihnen am meisten gebracht?

Im Sport lernt man, sich anzustrengen, mit Niederlagen umzugehen. Man lernt, dass es viel Ausdauer und Einsatz benötigt, um Erfolg zu haben. Mir hat der Sport gerade auch in der Verbandsarbeit viele Möglichkeiten geboten, Demokratie auszuprobieren. Der Sport bietet ideale Lernfelder für das Leben.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte, dies wieder zu stärken?

In den Schulen. Hier muss der Stellenwert des Sports wieder erhöht werden. Es ist fast schon skandalös, dass in den meisten Schulen die Leistungssportler Nachteile haben, statt Anerkennung zu erhalten. Ich habe früher einen Tag frei bekommen, wenn ich für einen Wettkampf unterwegs war. Heute bekommen die Jugendlichen oft Ärger. Dabei sollten die Schulen stolz sein, dass Jugendliche sich anstrengen.

Wie kann man das wieder aufbauen?

Man muss eine große Ausdauer mitbringen und sich abstimmen mit den politisch verantwortlichen Ebenen – von der Kommune bis zum Bund. Die Politik muss das genauso erkennen und wollen. Man muss bereit sein, Sportlehrer zu fördern, und Trainern, die als hochklassige Sportler tätig waren, die Möglichkeit geben, an der Basis zu arbeiten und Begeisterung für den Sport zu entfachen. Die Schüler müssen wieder das Gefühl bekommen, es ist cool, Sport zu treiben – isses ja auch!

Das Vertrauen muss aber auch auf anderen Ebenen wiederhergestellt werden.

Das stimmt. Mal abgesehen von der Dopingproblematik durchzieht sich durch alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, dass sexualisierte Gewalt und Kindesmissbrauch stattgefunden haben. Da ist der Sport nicht ausgenommen. Das muss man sauber aufarbeiten und dafür sorgen, dass Eltern keine Angst haben müssen, wenn sie ihre Kinder in den Sportverein geben. Da müssen wir auch positive Dinge gegensetzen. Das fängt beim Personal an. Das muss sicherlich nicht alles richtig machen, aber zumindest so vorbildlich sein, dass alle anderen Vertrauen zum Führungspersonal gewinnen können.

Sie fordern einen kompletten Neuanfang bei DOSB. Welche Rolle können Sie dabei spielen?

Meine Rolle sehe ich in erster Linie darin, Dinge mutig zu benennen und weiterhin Verbesserungen einzufordern. Das wird vermutlich dazu führen, dass ich dann nicht direkt an dem Neuanfang beteiligt bin. Vielen Leuten gefällt nicht, dass ich gewisse Sachen öffentlich anspreche. Sie würden solche Gespräche lieber in Hinterzimmern führen. Aber ich hoffe, dass ich so dazu beitragen kann, dass manche Leute erkennen: Wir müssen einen Neuanfang wagen.

Wie kann der aussehen?

In erster Linie, indem wir nach der Wahl auf die Politik zugehen und ein langfristiges Sportprogramm für die Bevölkerung auf den Weg bringen. Das ist auch das Ziel vieler Präsidentenkollegen aus den Spitzenverbänden. Wir müssen die Menschen mitnehmen und ihnen zeigen, was es für einen Wert für sie hat, Sport zu treiben. Dabei müssen wir auch aktuelle oder ehemalige Spitzenathleten offensiv einladen, sich einzubringen. Gerade bei der Athletenvertretung Deutschland gibt es viele gute Ideen.

Zuletzt wurde in den Spitzensport immer mehr Geld gepumpt in der Hoffnung, so Erfolg zu generieren. Ein Weg, der gescheitert ist.

Das hat die Entwicklung in der Leistungsbilanz ja gezeigt, dass man sich sportlichen Erfolg nicht kaufen kann. Manche Länder kaufen sich gute Athleten, manche erkaufen sich über Dopingnetzwerke Erfolg. Aber das sind ja Dinge, die wir in unserer Gesellschaft nicht wollen. Uns bleibt also nur der Weg, dass wir eine möglichst große Zahl von Menschen zum Sport bringen, dass wir eine große Zahl von Trainern haben, die Talente sichten und positiv verstärken, und nicht nur stur auf die Leistung schaut. Die kommt schon bei entsprechender Leistung der Trainer von alleine. Aber wir müssen die Basis breit machen, dass wir die Anzahl der Talente besser rekrutieren.