„Es war emotional einfach das Krasseste, was ich bis dahin erlebt habe“

26.08.2021 –  thorsten eisenhofer

Martin Schulz (Leipzig) startet als Titelverteidiger bei den Paralympischen Spielen in Tokio. Wir haben mit ihm über einen verpassten Zielsprung, einen Besuch im Fußballstadion und die Strahlkraft einer Medaille gesprochen.

Martin Schulz

Martin, wie oft denkst du an die Spiele?

Tokio ist die ganze Zeit präsent. Mein Fokus ist komplett darauf ausgerichtet, alle Ziele sind nur Zwischenziele, Tokio ist dabei immer im Hinterkopf.

Wie war das im vergangenen Herbst und Sommer nach der coronabedingten Verschiebung der Paralympics?

Dadurch ist es ein bisschen in der Hintergrund gerückt. Ich bin in kein Motivationsloch gefallen, sondern hatte trotzdem noch eine coole Saison, in der ich mehr zu Hause war, mal Wettkämpfe machen konnte, für die ansonsten keine Zeit ist, und im Training an Schwächen arbeiten konnte. Ernst wurde es erst wieder im Winter und dann vor allem mit Blick auf die Saison. Ich habe versucht, mich im Winter nicht verrückt zu machen und mich auch nicht davon beeinflussen lassen, was andere schon gemacht haben.

Lässt sich durch das Internet, und speziell durch die sozialen Netzwerke, überhaupt ausblenden, was die Konkurrenz macht?

Man verfolgt das natürlich schon über Ergebnislisten und auch über Posts. Von Stephan Daniel (dem härtesten Konkurrenten von Martin Schulz der vergangenen Jahre, Anm. d. Red.) habe ich vergangenen Winter erstaunlich wenig mitbekommen. Es hat sich dann auch bestätigt, dass er länger verletzt war. Im Endeffekt muss sich jeder auf sich selbst konzentrieren.

Was war bei deinem Paralympics-Sieg 2016 der schönste Moment?

Der Zieleinlauf und die letzten Meter davor. Also der Moment, in dem ich realisiert habe, dass es für den Titel reichen wird, nachdem es zuvor recht holprig gelaufen ist. In dem Moment war ich einfach nur sehr erleichtert. Ich habe lange auf diesen Moment hingearbeitet. Es ist ein riesen Druck entstanden, auch von mir selbst. Das hat sich dann alles gelöst.

Im Vorfeld gehen einem alle möglichen Rennszenarien durch den Kopf. Ich habe mir dabei immer gesagt, wenn ich gewinne, muss ich beim Zieleinlauf etwas Cooles machen. Stattdessen sind mir in dem Moment die Tränen gekommen. Es war emotional einfach das Krasseste, was ich bis dahin erlebt habe.

Was hättest du denn im Moment des Zieleinlaufes gerne gemacht?

Cool grüßen zum Beispiel. Oder einen Zielsprung.

Das Rennen war vor allem mental sehr hart für dich.

Es lief beim Schwimmen nicht so. Auf dem Rad habe ich mir dann einen größeren Vorsprung erarbeitet, als ich jemals zu träumen gewagt hätte. Das hat mich gepusht. Beim Laufen habe ich mich von Beginn an schlecht gefühlt. Ich habe mich voll reingesteigert, habe irgendwann dann sogar gedacht, dann wirst du halt nur Zweiter. Erst auf dem letzten Kilometer ist es mir gelungen, mich zusammenzureißen. Es war ein Kampf, den Wettkampf zu überstehen.

Wie fühlt es sich an, seit fünf Jahren Paralympics-Sieger zu sein?

Ganz gut (lacht). Es gab für mich nur Plan a. Und das war die Goldmedaille. Mit Rang zwei habe ich mich gar nicht beschäftigt. Es ist schön zu sehen, welchen Status solch ein Erfolg hat. Der hat mir Türen geöffnet. Erster Paralympics-Sieger im Triathlon, das nimmt mir keiner mehr.

Solch ein Erfolg hat eine ganz andere Außenwirkung als ein Weltmeistertitel oder Sieg in einem anderen internationalen Rennen.

Der Medienrummel ist maximal. Anschließend bekommt man deutlich mehr Anfragen. Ich hoffe, dass der Zauber der Olympischen beziehungsweise Paralympischen Spiele durch Corona nicht ganz verschwindet und die Leute die Spiele begeistert verfolgen.

Ist durch deinen Erfolg die Aufmerksamkeit für den Sport gestiegen?

Ich bin 2013, 2014 und 2016 Weltmeister geworden, was der Sportart schon einen Schub verliehen hat. Aber der Sieg bei den Paralympics war deutlich größer. Das haben sogar Leute mitbekommen, die keinen Bezug zu dem Sport haben. Ich war danach bei einem Spiel von RB Leipzig eingeladen, wurde kurz vor dem Anpfiff interviewt. Am nächsten Tag haben mich Leute in der Stadt darauf angesprochen. Interviews und Fernsehauftritte sind zwar zeitintensiv und manchmal auch anstrengend, aber es ist auch eine super Anerkennung für die Arbeit.

Was bedeutet dir diese Anerkennung?

Ich finde es super cool, dass dadurch unser Sport in den Fokus gerückt wird. Wir regen uns alle immer darüber auf, dass der Fußball so viele Medienpräsenz hat. Also müssen wir jede Chance nutzen, die wir bekommen.

Bist du vor Medienterminen nervös?

Nicht mehr. Ich sehe das mittlerweile ganz locker, bin da super entspannt. Solange die Antworten sympathisch klingen, hinterfragt ja keiner, was man sagt. Ich freue mich über jede Interviewanfrage und versuche, diese zeitlich zu bündeln. Denn wichtig ist, dass die Konzentration auf das Wesentliche nicht verloren geht. Denn nachher fragt keiner mehr, woran es gelegen hat.

Siehst du dich als Vorbild?

Als Vorbild nicht. Ich sehe mich aber als jemanden, der den einen oder anderen für den Parasport inspirieren kann. Grundsätzlich versuche ich, Menschen zur Bewegung zu animieren und aus ihrer Komfortzone oder ihrem Teufelskreislauf herauszuholen.

Was verbindest du mit Japan, dem Gastgeberland der Paralympics?

Japan ist aus meiner Sicht ein sehr traditionsbewusstes und strenges Land. Und hat interessantes Essen zu bieten. Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich noch nicht so viel von Japan gesehen habe. Eigentlich war es mein Ziel, nach den Spielen noch eine Rundreise zu machen, was unter den aktuellen Umständen leider nicht möglich sein wird.

Und in ein paar Wochen verbindest du mit Japan dann auch eine Goldmedaille?

Das Ziel ist eine Medaille. Je heller diese strahlt, desto schöner ist es. Wenn ich alles abrufen kann, was in mir steckt, kann ich jedes Rennen gewinnen. Dann bin ich schwer zu besiegen. Wenn jedoch jemand besser ist, dann ist es so. Es wäre toll, wenn dann nicht jeder denkt, der Martin hat Gold verloren. Sondern der Martin hat Silber gewonnen.